Nach der Jugendhilfe auf eigenen Beinen stehen

Datum: 19.07.2016 | Interview mit Melissa | geführt von Astrid Staudinger | Interview zum Download als PDF

Der Wohnführerschein Jugendhilfe

Für Jugendliche die aus der Jugendhilfe in eine eigene Wohnung ziehen möchten, ist dies meistens ein Neuland. Verschiedene Träger bieten hierfür einen Trainingskurs „Wohnführerschein Jugendhilfe“ an, der Jugendliche in dieser Situation unterstützt. Um zu erfahren, wie sich das gestaltet, haben wir mit einer Careleaverin ein Interview geführt:

Interview mit Melissa vom 19.07.2016

Melissa (der Name der Careleaverin wurde auf Wunsch geändert) ist 19 Jahre alt. Sie ist Schülerin und wird demnächst eine Ausbildung beginnen. Melissa hat den „Wohnführerschein Jugendhilfe“ absolviert; vor einiger Zeit ist sie in ihre erste eigene Wohnung gezogen. 

A. Staudinger: Melissa, Du wohnst jetzt in Deiner ersten eigenen Wohnung, vorher hattest Du in einer betreuten WG und in einem Betreuten Einzelwohnen (BEW) gewohnt. Wann bist Du aus der WG ausgezogen und wann aus dem BEW?

Melissa: Ich bin mit 17 Jahren in der WG eingezogen. Und bin mit 18 Jahren aus der WG ausgezogen und in das BEW eingezogen. Jetzt bin ich 19 und in einer eigenen Wohnung mit meinem Freund eingezogen.

A. Staudinger: Konntest Du den Zeitpunkt des jeweiligen Auszugs selbst bestimmen?

Melissa: Teilweise schon. Ich hatte eine Wohnungsbesichtigung und konnte meine Bewerbung nächste Woche schon abgeben. Paar Tage danach hatte ich eine Bestätigung, dass ich die Wohnung übernehmen kann. Ich hatte leider nur 2 Tage Zeit. Da kein Umzug geplant war.

A. Staudinger: Warum musste es denn so schnell gehen? Also, warum war der Umzug nicht geplant?

Melissa: Ich hatte plötzlich eine Zusage für eine Wohnung. Dann musste alles so schnell gehen. Ich dachte, dass ich die Wohnung sowieso nicht bekommen konnte. Ich hatte schon davor viele Absagen bekommen, da ich noch jung bin. Die Vermieter denken, weil man so jung ist, dass man nicht selbstständig wohnen kann.

A. Staudinger: Du hattest den Wohnführerschein gemacht, bevor Du die Wohnung bekommen hast. Könntest Du bitte mal erklären, wie das abläuft? Was lernt man beim Wohnführerschein?

Melissa: Ja, ich habe den Wohnführerschein gemacht. Das läuft alles easy ab. Also man trifft sich einmal in der Woche mit den Wohnführerschein-Betreuerinnen dieses Wohnführerschein-Projekts und mit weiteren Jugendlichen. Die Jugendlichen, wie ich, suchen auch eine Wohnung. Man lernt sich auch da ein bisschen kennen. Man lernt da vieles zum Thema „Wohnung“. Z.B wie man den Stromzähler abliest, wie und wann man eine Miete zahlt, die Hausregeln, z.B. keine laute Musik, Müll entsorgen, Hausflur putzen, wie man eine Waschmaschine benutzt … Fremdwörter wie Brutto,- Netto,- Kaltmiete … Wie man eine Wand durchbohrt, z.B. gibt es verschiedene Wände in jeder Wohnung und man muss Dübelstärken kennen und beachten, z.B. Stahl, Holz, … Am Ende gab es eine Prüfung, also Fragen, und die habe ich auch bestanden.

A. Staudinger: Hast Du beim Wohnführerschein auch gelernt, wie Du Dich um eine Wohnung bewirbst?

Melissa: Ja, das habe ich. Ich hatte auch davor viele Wohnungs-Bewerbungen und da gab es keinen großen Unterschied. Im Wohnführerschein haben wir geübt, wie wir uns bewerben und welche Unterlagen man da braucht. Wir hatten alle vom Wohnführerschein ein Bewerbungsgespräch bei der DEGEWO.

A. Staudinger: Habt Ihr das Bewerbungsgespräch nicht mit den Leuten vom Wohnführerschein eingeübt, sondern mit den „echten“ von der Hausverwaltung?

Melissa: Doch, geübt haben wir mit den Betreuerinnen vom Wohnführerschein. Und eine Woche dadrauf hatten wir einen Bewerbungsgespräch mit den „echten“ aus der Hausverwaltung DEGEWO.

A. Staudinger: Okay, alles klar. Und kam die Wohnung, die Ihr dann so schnell bekommen habt auch von der DEGEWO?

Melissa: Nein, die Wohnbaugesellschaft heißt STADT UND LAND.

A. Staudinger: Ist die Wohnung in der Umgebung, in die Du mit Deinem Freund ziehen wolltest oder woanders?

Melissa: Die Wohnung ist nicht in der Umgebung, wo ich normalerweise hinziehen würde. Die Wohnung ist weiter weg.

A. Staudinger: Und fühlst Du Dich da wohl? Hat das geklappt, mit dem Einleben, oder willst Du später wieder wegziehen?

Melissa: Ich fühle mich da wohl. An einen weiteren Umzug oder eine weitere Wohnung habe ich nicht gedacht. Bin auch sehr froh, eine Wohnung bekommen zu haben.

A. Staudinger: Hattest Du den Eindruck, dass Dir der Wohnführerschein geholfen hat, die Wohnung zu bekommen, oder war das egal?

Melissa: Der Wohnführerschein hat mir bei einigen Sachen schon geholfen, z.B. wann die Miete eingehen muss. Ansonsten wusste ich vieles schon vorher.

A. Staudinger: Wie bist Du eigentlich auf den Wohnführerschein gekommen?

Melissa: Ich bin auf den Wohnführerschein gekommen, weil meine Betreuerin im BEW das zufällig im Internet gefunden hat.

A. Staudinger: Hattest Du dann direkt Lust auf die Aktion? Hat es Spaß gemacht, den Wohnführerschein zu machen?

Melissa: Beim ersten Tag dachte ich, dass es langweilig werden könnte, aber das Gefühl hat sich dann verändert. Den Wohnführerschein zu absolvieren, war toll und es hat sehr Spaß gemacht. Weil man da alles gründlich lernt. Und mit den anderen Jugendlichen hatte man auch Spaß. Es war im Wohnführerschein mit viel Teamarbeit, und zusätzlich hatte man Fragen, und der eine konnte dann auch die Frage beantworten. Man hat sich im Wohnführerschein gegenseitig geholfen.

A. Staudinger: Jetzt wohnst Du ja in Deiner ersten eigenen Wohnung. Wie fühlt sich das an?

Melissa: Natürlich sehr viel Stress, da man meistens in der Wohnung nur am Nachmittag oder Abend da ist. Stress, viele Unterlagen, z.B. wegen Jobcenter und Familienkasse. Ich und mein Freund bezahlen seit zwei Monaten allein unsere eigene Miete. Wir verdienen nicht viel. Da ich zurzeit noch zur Schule gehe und er in der Ausbildung ist.

A. Staudinger: Und wie klappt der Rest? Ich meine, Haushalt, Finanzen, einkaufen, kochen und all sowas …

Melissa: Das klappt alles sehr gut. Wir führen beide zusammen den Haushalt. Kochen tun wir zusammen. Auch mal alleine. Bei den Finanzen klappt das leider nicht, da das Geld sehr knapp ist.

A. Staudinger: Respekt! Schafft Ihr das mit so wenig Geld dann trotzdem?

Melissa: Das würde vielleicht noch 1-2 weitere Monate so weitergehen, aber das Geld wird knapp. Da wir jetzt wirklich Hilfe noch vom Jobcenter brauchen.

A. Staudinger: So ganz auf Dich gestellt bist Du in der eigenen Wohnung noch nicht, Du hast noch ein paar Stunden Jugendhilfe, oder?

Melissa: Ja, eine Ambulante Jugendhilfe mit Stunden.

A. Staudinger: Hast Du vielleicht einen Tipp, was Jugendliche bei der Wohnungssuche beachten sollten?

Melissa: Jugendliche sollten bei der Wohnungssuche im Internet, Anzeigen usw. auf Provision achten. Da viele drauf reinfallen. Also sucht eine Wohnung „ohne Provision“!

A. Staudinger: Und was sollten die Betreuerinnen und Betreuer tun, damit sie die Jugendlichen gut bei der Suche unterstützen?

Melissa: Bei der Suche sollten die Betreuerinnen die Jugendlichen motivieren und denen helfen. Da auch sehr viele Absagen kommen werden. Es ist sehr frustrierend.

A. Staudinger: Vielen Dank, dass Du Dir heute Zeit genommen hast und dass Du so offen erzählt hast. Danke für das Interview und alles Gute für Dich und Deinen Freund.

Melissa: Gerne, war toll.

 

Weitere Informationen zum Wohnführerschein unter:

www.wohnfuehrerschein-jugendhilfe.de und

www.wohnfuehrerschein.de

 

Astrid Staudinger

Careleaver-Kompetenznetz

Familien für Kinder gGmbH

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