Wichtige Urteile
Urteil zur Kostenheranziehung stärkt Jugendliche und junge Menschen mit eigenem Arbeitseinkommen
§ 94 SGB SGB VIII - Umfang der Heranziehung
Schon seit 3.12.2013 gilt: (6) „Bei vollstationären Leistungen haben junge Menschen und Leistungsberechtigte nach § 19 nach Abzug der in § 93 Abs. 2 genannten Beträge 75 Prozent ihres Einkommens als Kostenbeitrag einzusetzen. Es kann ein geringerer Kostenbeitrag erhoben oder gänzlich von der Erhebung des Kostenbeitrags abgesehen werden, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Leistung dient. Dies gilt insbesondere, wenn es sich um eine Tätigkeit im sozialen oder kulturellen Bereich handelt, bei der nicht die Erwerbstätigkeit, sondern das soziale oder kulturelle Engagement im Vordergrund stehen.“ (z.B. Freiwilliges Soziales Jahr, Tätigkeiten zur Finanzierung des Führerscheins) Fassung aufgrund des Gesetzes zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeverwaltungs-vereinfachungsgesetz) vom 29.08.2013 (BGBl. I S. 3464) m.W.v. 03.12.2013.
Im vorliegenden Fall hatte eine junge Frau (16 Jahre alt), die in Vollzeitpflege lebt, im Jahr 2013 eine Ausbildung begonnen. Sie sollte 75% ihres aktuellen Nettoeinkommens als Kostenbeitrag an das zuständige Jugendamt in Berlin abgeben. Daraufhin hat ihr Vormund einen Antrag auf Freistellung gestellt. Folgendes hat das Verwaltungsgericht Berlin im März 2015 geurteilt.
1) Das VG urteilte, dass mit Bezug auf die neueste Gesetzesveränderung (KJVVG, gültig seit 03.12.2013) dass Jugendamt eine falsche Bemessungsgrundlage nutzte. Da das Einkommen des Vorjahres (siehe § 93 Abs. 4 SGB VIII) als Berechnungsgrundlage dienen hätte müssen, jedoch fälschlicherweise das damals aktuelle Einkommen verwendet wurde.
2) Außerdem kann das Jugendamt ganz oder teilweise von einer Kostenheranziehung absehen, wenn die Tätigkeit der jungen Menschen dem Zweck der Leistung dient. Im Urteil steht: „Ausbildungsverhältnisse erscheinen daher nicht als generell ausgeschlossen von einer Bewertung als Tätigkeit im Sinne des § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII.“
Wenn der Antrag beim Jugendamt gestellt wird, muss das Jugendamt in pflichtgemäßem Ermessen des Einzelfalls prüfen, ob und in welchem Umfang von der Kostenheranziehung abgesehen werden kann. (ggf. im Hilfeplan festgelegte Ziele wie z.B „Ausbildung absolvieren“, Art und Dauer der Tätigkeit, Umfang und Höhe des Einkommens) Bei Ablehnung des Antrags kann ein Widerspruch eingelegt werden!
Das aktuelle Urteil zur Kostenheranziehung aus dem Jahr 2015 des Verwaltungsgerichts Berlin (VG 18 K 443.14) kann hier herunter geladen werden:
Allgemeines Statement zur Kostenheranziehung aus der Begründung zur neuen Gesetzesänderung des Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz (Deutscher Bundestag: 17. Wahlperiode, Drucksache 17/ 13023, S. 15):
„Nach bisheriger Rechtslage hatten die Jugendämter keinen rechtlichen Spielraum, um in besonderen Fällen von der Kostenheranziehung junger Menschen in vollstationärer Unterbringung absehen zu können. Eine Kostenbeteiligung stationär untergebrachter Kinder und Jugendlicher kann jedoch in Einzelfällen zu dem Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe in Widerspruch stehen, junge Menschen in die Gesellschaft zu integrieren und sie zu einem eigenständigen, selbstverantwortlichen Leben zu erziehen und zu motivieren. Diesem Auftrag läuft es zuwider, wenn jungen Menschen die (ggf. ohnehin geringe) finanzielle Anerkennung für eine Tätigkeit genommen wird, die gerade dem (pädagogischen) Zweck der Jugendhilfeleistung dient. Hierzu gehören Tätigkeiten, in denen der junge Mensch Eigeninitiative ergreift und sich verantwortungsbewusst gegenüber seinem Leben und seiner Zukunft zeigt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der junge Mensch besonderes gesellschaftliches Engagement zum Beispiel in Form einer ehrenamtlichen Tätigkeit übernimmt. Ausdruck besonderer Eigenverantwortung mit Blick auf das Ziel der Verselbständigung kann aber beispielsweise im Einzelfall auch die Übernahme einer Tätigkeit als Zeitungsbote zur Finanzierung des Führerscheins sein.
Durch die neue Regelung können Jugendämter im Rahmen ihres Ermessens darüber entscheiden, bei jungen Menschen in stationären Einrichtungen oder in Pflegefamilien von der Kostenheranziehung aus einem Einkommen abzusehen. Voraussetzung ist, dass sie das Einkommen im Rahmen einer Tätigkeit erworben haben, die im besonderen Maße dem
Zweck der Jugendhilfeleistung dient (zum Beispiel der Übernahme von Eigenverantwortung, dem Erwerb sozialer Kompetenzen oder der Verselbständigung). In Bezug genommen sind hier Fälle, in denen die Heranziehung des jungen Menschen zu den Kosten dem Ziel der Hilfe widersprechen und der Zweckbestimmung der pädagogischen Arbeit mit dem jungen Menschen entgegenlaufen würde. Dies ist insbesondere bei Aufwandentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten oder Honoraren für Tätigkeiten im sozialen oder kulturellen Bereich der Fall, bei denen nicht die Erwerbstätigkeit, sondern vielmehr das soziale und kulturelle Engagement im Vordergrund stehen.
Bei konkreter Gefährdung der Zielerreichung kommt eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht.“